Autore­nar­tikel des Pro­jek­ts [:tax­e­les]

„Russ­ian Scandal“

engl. für : „Stille Post“ deu. / „Испорченный телефон“ rus.

Wie sinnbildlich die englis­che Beze­ich­nung für das alt­bekan­nte Spiel für die Beziehun­gen zwis­chen dem West­en und dem Osten des europäis­chen Kon­ti­nents steht.

In Deutsch­land ken­nt man dieses Spiel unter „Stille Post“, was die Verbindung zu diesem Wort­spiel als Gedankenkon­strukt wom­öglich nicht wirk­lich ermöglicht. Doch im Rus­sis­chen heißt dieses eine Spiel wörtlich über­set­zt : kaputtes Tele­fon. So wird das Konzept des Spiels, aber auch das Konzept dieses Kom­mu­nika­tion­sphänomens (sinn-)bildhaft und greifbar.

In diesen Wochen und Monat­en erleben wir dieses Phänomen in voller Laut­stärke — in voller Laut­stärke nur eines Teil­nehmers : Deutsch­lands. In unserem Medi­en- und Poli­tikraum hören wir uns selb­st laut und deut­lich, doch den Teil­nehmer am anderen Ende der Leitung nicht — ist die Verbindung gestört ? Oder haben wir Rus­s­land ein­fach auf “mute“ (engl. Stumm) gestellt ?

So kommt es dem geneigten Leser und Zuschauer divers­er (bundes-)deutscher Pub­lika­tio­nen und Pro­gramme in diesen Wochen vor, wenn es um das The­ma Rus­s­land geht. Gemeint ist die medi­ale Verknüp­fung zweier The­menkom­plexe aus Poli­tik und Wirtschaft : der Fall des (ver­meintlich) vergifteten rus­sis­chen Oppo­si­tionellen Alex­ej Naval­nyj, der Bau des Pipeline-Mam­mut-Pro­jek­ts Nord Stream 2 und die erneuten Russland-Sanktionen.

Kein Tag verge­ht, an dem eine aktuelle Mel­dung über den „Kreml-Kri­tik­er“ Naval­nyj über den virtuellen Nachricht­en-Tick­er flat­tert und der Öffentlichkeit neue „Erken­nt­nisse“ zum ver­meintlichen Tather­gang präsen­tiert wer­den. Naval­nyj wurde in der renom­mierten Berlin­er Char­ité behan­delt und befand sich bis Mitte Jan­u­ar diesen Jahres zur Reha in Schwarzwald, nach­dem er mit akuten Vergif­tungser­schei­n­un­gen (laut Deutsch­lands Aus­sage) am 20. August von Rus­s­land nach Deutsch­land aus­ge­flo­gen wurde.  Die medi­ale Empörung ließ nicht lange auf sich warten, schnell war vom „rus­sis­chsten aller Gifte“ die Rede, der poli­tis­che Fram­ing-Prozess ist seit­dem in vollem Gange. 

Die Beziehung bei­der Natio­nen rückt seit­dem unweiger­lich in den öffentlichen Mit­telpunkt, und je länger man darüber sin­niert, desto vielfältiger wird die Anzahl an möglichen Verbindun­gen, die dabei ins Auge sprin­gen : von sehr auf­fäl­li­gen Verknüp­fun­gen z.B. durch Katha­ri­na die Große und Maria Pavlov­na Romano­va oder Goethe, bis hin zu unschein­baren und unmerk­lichen Blutsver­flech­tun­gen durch­schnit­tlich­er Fam­i­lien von nebe­nan. Kurzum, das Herun­ter­brechen auf diese sin­gulären Ereignisse greift zu kurz und wird der wahren, transna­tionalen Verbindung und Ver­flech­tung bei­der Staat­en nicht gerecht.

Was hat es mit Nord Stream 2 auf sich ?

Energie ist die Leben­sad­er der Wirtschaft, und deren Import in Form von Erdöl und –Gas im wahrsten Sinne alter­na­tiv­los für Deutsch­land. Bere­its zu Zeit­en der Sow­je­tu­nion bemühte sich die Bun­desre­pub­lik um strate­gis­che Part­ner­schaften und schloss Verträge, die den Import sich­ern soll­ten. Der jüng­ste Vorstoß dieser gemein­samen Anstren­gun­gen bildet das Pro­jekt Nord Stream 2 als Ergänzung der bere­its 2011 fer­tiggestell­ten Gas-Pipeline von Wyborg nach Lub­min bei Greif­swald. Denn nicht nur Brück­en kön­nen — physisch wie sym­bol­isch — verbinden, auch Pipelines, und sor­gen damit für eine gemein­same und dauer­hafte wirtschaftliche Prosperität.

In den Verbindungsstörun­gen, die wir aktuell mit Rus­s­land erleben, gehen etliche Details ver­loren, die die Ursprungsnachricht — ganz dem „Stille Post“-Effekt entsprechend — abwan­deln und so für eine fehler­hafte Infor­ma­tions­ba­sis sor­gen. So wüssten wir zum Beispiel, dass der „Wirk­stoff“ Now­itschok  in Wahrheit kein „ein Wirk­stoff“, son­dern ein Binäres Sys­tem, beste­hend aus nicht tox­is­chen Gift­stof­fen ist.

Er wird als „hochgiftig und schw­er nachzuweisen“ beschrieben. Er beste­ht aus zwei ungifti­gen Kom­po­nen­ten, die ihr tödlich­es Poten­zial erst in ihrer Verbindung ent­fal­ten und sich schnell wieder auflöst. Er löst im Kör­p­er eine Pro­tein-Ket­ten­reak­tion aus, und block­iert damit die Pro­duk­tion des Enzyms Cholinesterase, was let­ztlich zum Tod führt. Ein weit­er­er inter­es­san­ter Fakt : schwach wirk­same Cholinesterase-Hem­mer sind ungiftig, und wer­den sog­ar zur Behand­lung von Alzheimer-Patien­ten eingesetzt.

Die Verbindung zur Sow­je­tu­nion kann nicht geleugnet wer­den, wurde der Gift­stoff doch als Antwort auf die Pro­duk­tion ver­gle­ich­bar­er Biowaf­fen der USA in den 70er Jahren, auf dem Höhep­unkt des Kalten Krieges in einem sow­jetis­chen Labor in der Stadt Schichanach entwick­elt. Der deutsche Toxikologe und Experte für Chemiewaf­fen, Ralf Trapp, weist jedoch darauf hin, dass auch andere Labore außer­halb Rus­s­lands dur­chaus in der Lage sind, diesen Kampf­stoff zu pro­duzieren, vor allem wenn man bedenkt, dass mehrere Fach­chemik­er, die an der Entwick­lung des Gift­stoffs beteiligt waren nach dem Ende der Sow­je­tu­nion ins west­liche Aus­land aus­ge­wan­dert sind und sog­ar ein Buch über und mit detail­liert­er Beschrei­bung des Now­itschok-Sys­tems und ihre Entwick­ler veröf­fentlichte — bedi­ene sich daran wer will. Ein weit­er­er Ein­wand, der in diesen Zeit­en allzu oft verhallt.

Denn der Schuldige scheint aus Sicht der hiesi­gen Medi­en und Poli­tik längst gefun­den, allerd­ings ver­mag nie­mand genau zu sagen, wieso er schuldig sein soll. Wo bleibt der Grund­satz „im Zweifel für den Angeklagten“, die evi­denzbasierte Be-Urteilung der Fak­ten, so sie denn vor­liegen, anstelle ein­er vorschnellen Ver-Urteilung, wo das Neu­tral­itäts­ge­bot ? Als Resul­tat erleben wir eine zunehmend vergiftete Atmo­sphäre und diplo­ma­tis­che Ver­stim­mung. Frag­würdi­ge Sank­tio­nen wer­den vorschnell gegen den großen, sehr alten Fre­und ver­hängt ohne diesen auch wenig­stens ein Mal zu Wort kom­men zu lassen. Ein Urteil ohne Anhörung. So dient dieser Fall für alle Außen­ste­hende, aber vor allem für den Beklagten, als Beispiel für das stetig gelobte Rechtssys­tem, auf welch­es wir hier in Deutsch­land so beson­ders stolz sind, so wie einst die Heilige Inqui­si­tion auf das ihrige…

Im Namen eines rus­sis­chen Bürg­ers, zu dem in der ganzen Behand­lungs- und Rehazeit kein rus­sis­ch­er Kon­sul Zugang gewährt bekam und der eine umstrit­tene Kar­riere in seinem Heimat­land aufweist, beschließt Deutsch­land Sank­tio­nen gegen Per­so­n­en aus dem direk­ten Umfeld des rus­sis­chen Präsi­den­ten mit Begrün­dun­gen, die jeglichem Diplo­matie-ABC, geschweige denn ele­mentarem Anstand trotzen. So sind in den veröf­fentlicht­en Sank­tions­be­grün­dun­gen Sätze zu lesen wie : „Er gehört der Arbeits­gruppe der Präsi­den­te­nad­min­is­tra­tion an, die es Naval­nyj nicht erlaubt, die Russen zu bee­in­flussen, auch nicht, indem sie ihn diskred­i­tiert“, hier im Bezug auf Andrej Jarin (Abteilung für Innen­poli­tik des Präsi­den­ten der Rus­sis­chen Föderation).

Es scheint für Rus­s­land, als würde „der West­en“ nicht ein­fach irgen­deinen Oppo­si­tionellen aus einem anderen Land aus Altru­is­mus her­aus unter­stützen, son­dern vielmehr seinen eige­nen Mann schützen, der mehr als genug Verbindun­gen famil­iär­er, biografis­ch­er und auch finanzieller Art in den West­en (genauer Lon­don) pflegt und für Rus­s­land somit eher ein aus­ländis­ch­er Agent ist, als ein Oppo­si­tioneller (mit einem Rat­ing von stolzen 2%).

Man kann es gar nicht schönre­den, wie Rus­s­land solch­es Vorge­hen bew­ertet und so lesen wir (zumin­d­est in den rus­sis­chen Medi­en) über Aus­sagen des rus­sis­chen Außen­min­is­ters Sergej Lavrovs, Deutsch­land und seine Anhänger wür­den sich in inländis­che Angele­gen­heit­en eines anderen sou­verä­nen Staates ein­mis­chen und damit die Beziehun­gen zu Rus­s­land selb­st zer­stören. Wir soll­ten nicht denken, Rus­s­land würde noch die andere Wange hin­hal­ten und dür­fen uns auf gle­ich­w­er­tige Gegen­sank­tio­nen gefasst machen.

Noch vor den Sank­tio­nen Europas gegen Rus­s­land sprach Herr Lavrov in einem Inter­view genau das aus, was den Russen auf der Seele immer heller bren­nt, als er sagte : „Ich bin mit unseren Poli­tolo­gen ein­ver­standen, die sagen, dass hätte es nicht Naval­nyj gegeben, hät­ten sie (red. EU) sich etwas anderes aus­gedacht — als einen Vor­wand für die Ver­hän­gung weit­er­er Sank­tio­nen. Was Naval­nyj bet­rifft, so denke ich, dass unsere west­lichen Part­ner jeglichen Anstand, alle Gren­zen der Ver­nun­ft über­schrit­ten haben. Im Grunde genom­men wird von uns ger­ade ver­langt zu geste­hen. Uns wird gesagt : ‚Glauben Sie etwa nicht den deutschen Experten, den Bun­deswehrex­perten ? Wie ist das möglich ? Deren Ergeb­nisse sind von den Fran­zosen und den Schwe­den bestätigt wor­den. Uns glauben Sie nicht?‘ Eine frag­würdi­ge Geschichte, wenn man bedenkt, dass wir noch am 27. August eine Anfrage unser­er Gen­er­al­staat­san­waltschaft über die Recht­shil­fe hin schick­ten und eine Antwort gibt es bis heute nicht. Diese Anfrage befand sich über eine Woche lang unver­ständlich wo. Im Auswär­ti­gen Amt teilte man uns mit, dass unsere Anfrage nicht an das Jus­tizmin­is­teri­um weit­ergeleit­et wurde, welch­es ja der Adres­sat der Gen­er­al­staat­san­waltschaft-Anfrage war. Später mein­ten sie dann doch — es sei an die Staat­san­waltschaft Berlins übergeben wor­den, ‚aber wir sagen Ihnen nichts ohne die Ein­willi­gung der Fam­i­lie (red. Naval­nyjs). Ihr sollt Ermit­tlun­gen ein­leit­en‘. Wir haben unsere eige­nen Geset­ze und laut diesen Geset­zen kön­nen wir nicht aufs Wort glauben, um eine Ermit­tlung durchzuführen. Es müssen bes­timmte Proze­duren einge­hal­ten wer­den und der Ein­hal­tung dieser Proze­duren ist die, kurz auf diesen Vor­fall gefol­gte, ange­fan­gene Vorun­ter­suchung gewid­met gewe­sen, im Ver­lauf welch­er alle Sachver­halte unter­sucht wor­den sind. Apro­pos Sachver­halte, […], hat­te jemand von den west­lichen Kol­le­gen, ich glaube der deutsche Spiegel oder Die Welt geschrieben, dass, wie die deutschen Ärzte her­aus­ge­fun­den hät­ten, Naval­nyj nur durch Glück gerettet wurde. Es hätte wirk­lich diesen ominösen Now­itschok gegeben, aber er (red. Naval­nyj) hätte sich nur durch Glück­szufälle gerettet. Was sind das denn für Glück­szufälle gewe­sen sein sollen ? Erstens, dass der Pilot das Flugzeug umge­hend lan­dete. Zweit­ens, dass am Flugzeug direkt der Notarzt­wa­gen wartete. Und drit­tens, dass die Ärzte augen­blick­lich zur Ausübung ihrer pro­fes­sionellen Pflicht­en schrit­ten. Dieses abso­lut tadel­lose Ver­hal­ten des Piloten, der Ärzte und der Nothil­fe wird als ein glück­lich­er Zufall präsen­tiert. Das heißt, dass man uns sog­ar ver­weigert, dass wir Men­schen sind. Ver­ste­hen Sie, das sitzt ja tief in den Köpfen von den­jeni­gen, die sich sowas ausdenken.

Um auf unsere Vorun­ter­suchung zurück­zukom­men : es heißt nur : Ermit­tlun­gen. Alle sind darauf fix­iert. Hät­ten wir eine Ermit­tlung ein­geleit­et, wobei wir keine rechtliche Grund­lage dafür haben und weswe­gen die Gen­er­al­staat­san­waltschaft das Recht­shil­feer­suchen an die Deutschen stellte, aber selb­st wenn wir es heute oder von Anfang an ein­geleit­et hät­ten — was wäre unter­nom­men wor­den ? Man hätte den Piloten, die Flugzeug­pas­sagiere, die Ärzte befragt. Man hätte erfahren, was die Ärzte bei sein­er (red. Naval­nyjs) Ein­liefer­ung ins Omsker Kranken­haus fest­stell­ten, welche Medika­mente sie ein­set­zten. Sein Umkreis wäre befragt wor­den. Das alles ist gemacht wor­den. Die Fünf, die ihn begleit­eten, sind befragt wor­den, die auch an den Ver­anstal­tun­gen der vor­ange­gan­genen Tage teil­nah­men bevor Naval­nyj ins Flugzeug stieg. Diejeni­gen sind befragt wor­den, die auf den Flug Tom­sk-Moskau warteten, die mit ihm in dem Café waren. Man fand her­aus, was sie bestell­ten, was er trank. Die Sech­ste, die ihn beglei­t­ende Dame, wie Sie wis­sen, ist geflüchtet. Es heißt, aus­gerech­net sie hätte die eine Wasser­flasche an das deutsche Labor übergeben. Das alles ist gemacht wor­den und wenn das als Ermit­tlungsver­fahren beze­ich­net wor­den wäre — mehr kön­nen wir nicht machen. Mit diesem Hin­ter­grund, ist natür­lich die Arro­ganz, mit der die west­lichen Part­ner auf uns blick­en, von wegen ‚Wagt es ja nicht unsere Glaub­würdigkeit, unsere Pro­fes­sion­al­ität anzuzweifeln‘… Gut, wenn das so ist, dann wagen Sie es also die Pro­fes­sion­al­ität unser­er Ärzte, unser­er Ermit­tler anzuzweifeln. 

Das ist eine Posi­tion, die bedauer­licher­weise an andere Zeit­en zu erin­nern anfängt. Arro­ganz und das Gefühl der eige­nen Unfehlbarkeit ist schon Mal in Europa beobachtet wor­den und führte zu sehr trau­ri­gen Konsequenzen“.

Es gibt nicht einen Ablauf­punkt im Fall Naval­nyj, der keine berechtigten Zweifel aufweist oder gar gän­zlich als falsch wider­legt wird, geschweige denn, dass das ange­bliche Tat­mo­tiv jeglich­er Logik ent­behrt. So spricht Naval­nyj selb­st im Inter­view dem rus­sis­chen lib­eralen Blog­ger Dud‘ davon, dass die rus­sis­che Regierung in sein­er Per­son keinen Mär­tyr­er haben wolle und ihn eben deswe­gen vergiftet haben soll.

Deutsch­land hat sich in dieser Sache direkt ein­er eige­nen poli­tis­chen Entschei­dung ent­zo­gen und holte umge­hend die anderen EU-Staat­en mit dazu, um als eine geschlossene Front Rus­s­land gegenüber zu treten — alle gegen einen also. Nun, in Rus­s­land sieht man das als einen Schwächebe­weis an, dass der Unruh­es­tifter sich direkt hin­ter seinen Fre­un­den ver­steckt und somit spricht u.a. Maria Zacharo­va (die Außeror­dentliche und bevollmächtigte Botschaf­terin Rus­s­lands,  Direk­torin der Abteilung Infor­ma­tion und Presse und Press­esprecherin des Min­is­teri­ums für auswär­tige Angele­gen­heit­en der Rus­sis­chen Föder­a­tion) klare Worte : „Es geht hier um Berlins Renommee“.

Es ist gar nicht so lange her, da hat­te der rus­sis­che Präsi­dent, Herr Putin, der Bun­deskan­z­lerin Frau Merkel beim Peters­burg­er Dia­log 2012 in Moskau scherzhaft ange­merkt : „Beacht­en Sie, was Frau Bun­deskan­z­lerin sagte. Sie sagte : ‚Wir berat­en uns zunächst mit 26 anderen Län­dern und for­mulieren dann eine gemein­same Posi­tion‘. In der Wirtschaft nen­nt man das Kartel­lver­schwörung. Und ein Kartell ist immer eine schlechte Sache. Man sollte seine eigene Posi­tion haben.“

Unter Druck geset­zt sieht Rus­s­land die Bun­desre­pub­lik und kann Deutsch­lands Ver­hal­ten in dieser Sache ein­er­seits nachvol­lziehen, doch gle­ichzeit­ig wächst die Ent­täuschung über die Unselb­st­ständigkeit Deutsch­lands, die sich bere­it zeigt zum eige­nen Nachteil fremde wirtschaftliche Inter­essen vom anderen Kon­ti­nent über den Atlantik zu vertreten. So wird von offizieller Stelle unun­ter­brochen von ein­er Befreiung aus der Abhängigkeit von rus­sis­chen Energi­eträgern gesprochen — doch es wäre lediglich eine Befreiung von einem Energie-Tropf und ein direk­ter Über­gang in die andere Abhängigkeit von por­tion­ierten, rüber geschifften Energie-Pillen (oder wird eine alter­na­tive Pipeline über den Atlantik gelegt, um die flüs­sige Beliefer­ung sicherzustellen?)

Ein unmit­tel­bar­er Zusam­men­hang zwis­chen dem Fall Naval­nyj und dem Nord Stream 2 ist für Rus­s­land unüberse­hbar und wird u.a. von Deutsch­land durch sein übereifriges und ten­den­z­iös­es  Ver­hal­ten nur bestätigt. Denn selb­st im UN-Sicher­heit­srat, so scheint es, stellen wir den rus­sis­chen Vertreter Dmitrij Pol­jan­skij auf stumm, wenn er einen der berechtigt­sten Zweifel in aller Deut­lichkeit ausspricht : u.a. Deutsch­land behauptet, dass auss­chließlich Rus­s­land das Now­itschok-Sys­tem hätte, weswe­gen ja der Übeltäter augen­blick­lich iden­ti­fiziert wer­den kon­nte und wor­den ist. „Dort (red. in Deutsch­land), ange­blich ohne eine Probe des Now­itschok zu haben, wird bes­timmt, dass es das ist — was tech­nisch unmöglich ist, wenn man nichts zum Ver­gle­ichen hat. Das heißt, dass, wie es her­auskommt, Deutsch­land den Now­itschok hat. Genau­so wie andere west­liche Staat­en,“ so Herr Pol­jan­skij. Wir sehen, wir sitzen im Glashaus.

Je länger Deutsch­land sich Rus­s­land gegenüber stumm stellt, umso mehr solch­er immer kri­tis­cher­er Fra­gen kom­men auf und umso behar­rlich­er wird Rus­s­land auf die Beant­wor­tung dieser beste­hen. Dies ist keine bere­its deut­lich zu erken­nende Ten­denz, son­dern immer lauter wer­dende klare Ansagen aus Moskau — wür­den wir diese doch hören.

Wir kom­men aus dieser Geschichte nicht mehr wie „trock­en aus dem Wass­er“ (Rus­sis­che Reden­sart) raus — Rus­s­land wird uns das nicht mehr durchge­hen lassen, denn dafür sind wir zu weit in diese Gewäss­er gegan­gen. Wir wer­den für unser Ver­hal­ten Rus­s­land gegenüber ger­adeste­hen müssen, damit soll­ten wir uns abfind­en. So ist das einzige, was wir noch machen kön­nten — den Schaden klein hal­ten. Kehren wir jet­zt zurück zum Ver­stand und entsin­nen uns, dass der Lösungsweg nur ein Dia­log sein kann und, dass ein Dia­log keine Ein­bahn­straße ist !

DIA-log, liebes Deutsch­land, kein MONO-log.

Eine schlechte Verbindung mit einem Rauschen, Bruchteil­haftigkeit, Stummheit.. an welch­er Stelle unser­er jahrhun­derte­lan­gen Kom­mu­nika­tion ist die Leitung beschädigt ? Ist unsere Leitung beschädigt oder wer­den wir unmerk­lich zum Opfer eines „jam­mers“ (engl. Störsenders)?

Ein pro­bates Gegen­mit­tel, ein Anti­dot zur aktuellen Lage, wäre die Wieder­her­stel­lung ein­er richti­gen Verbindung. Als ersten Schritt wäre ein Umgang mit Rus­s­land „auf Augen­höhe“ ange­bracht, den der aktuelle Diskurs ver­mis­sen lässt. Es wäre nicht nur ein pos­i­tives Sig­nal, es wäre im Sinne aller unmit­tel­bar Beteiligten.

 

Autore­nar­tikel des Pro­jek­ts [:tax­e­les]