Pavel Feldman
[Stellvertretender Direktor des Instituts für strategische Forschung und Prognose von PFUR, Kandidat der Politikwissenschaft (Doktor), Moskau]
* * * Teil 2/4 * * *
Nach welchen Kriterien werden die Ideologien unterschieden ? Was haben Kommunismus und Faschismus gemeinsam ?
Wenn sich eine Person als Träger dieser oder jener Ideologie positioniert, wäre es für ihn nützlich, sich selbst drei Fragen zu stellen. Es gibt sogar ein solches ideologisches Koordinatensystem, welches es sehr einfach macht, eine Ideologie von einer anderen zu unterscheiden. Die wichtigste prinzipielle Grundfrage bei der Differenzierung der Ideologie ist die Frage der Einstellung zum Eigentum.
Wie denken wir über Privatbesitz ?
Halten wir es für akzeptabel, halten wir es für notwendig oder glauben wir, dass das Eigentum gemeinsam, kollektiv, vor allem für die Produktion, sein sollte ? Wenn wir von diesem Kriterium ausgehen, fallen sofort zwei widersprüchliche Ideologien auf.
Die erste ist der Kommunismus oder Marxismus, der Leninismus, und die zweite gegensätzliche Ideologie ist der Liberalismus.
Nach dem Kriterium des Privateigentums wird unweit des Liberalismus der Faschismus sein, der durchaus Privateigentum erlaubt. In der Tat, im faschistischen Deutschland oder im faschistischen Italien, fühlten sich Großbesitzer, nationale Unternehmer recht erfolgreich.
Das zweite Kriterium, das es uns erlaubt, die Ideologien aufzuteilen, ist das Verhältnis von privat zu kollektiv.
Denkt ein Mensch, dass Gemeingut über dem Privaten steht ? Glaubt er, dass es unter bestimmten Bedingungen möglich ist, die Interessen einer Person im Interesse des Erfolgs der Gruppe oder der Gesellschaft als Ganzes zu opfern ?
Zurück zu meinem geliebten Aristoteles, kann ich an einen anderen berühmten Satz erinnern, dass der Staat die höchste Form der Kommunikation ist, d.h. die höchste Form der Sozialität. Diejenigen, die glauben, dass das Allgemeingut über dem Privatem steht, sollten natürlich glauben, dass der Staat und seine Interessen wichtiger sind, als die Interessen einer einzelnen Person. Man kann einen Menschen um des Staates willen opfern.
Wenn wir nach diesem Kriterium eine ideologische Wasserscheide betreiben, erhalten wir eine neue Differenzierung : den Liberalismus, der glaubt, dass die Interessen eines einzelnen Menschen mehr zählen, als die Interessen der Gesellschaft und mehr, als die Interessen des Staates.
Auf der anderen Seite der ideologischen Barrikaden stehen Nationalismus, Faschismus, Kommunismus und sogar Konservatismus.
Das sind sehr unterschiedliche Ideologien, sie können nicht gleichgesetzt werden, aber dennoch sind sie alle in einer Position vereint, nämlich, dass das Gemeinsame und vor allem der Staat, höher ist als das Private. Wir können unsere privaten Interessen, Probleme, Wünsche und sogar das Schicksal eines gewöhnlichen Menschen opfern, wenn wir über den Staat sprechen. Wenn wir nach der einen russischen nationalen Idee suchen, hat sie sich immer auf dieses Postulat gestützt — das Kollektive über dem Privaten. Deshalb wurzeln jegliche liberalen Ideen auf unserem politischen Grund so schlecht.
Die dritte Wasserscheide, die zwischen den Ideologien verläuft, ist die Sichtweise auf die nationale Frage. Hier kann ich nicht nicht an Menschen denken, die Kommunismus mit Faschismus gleichsetzen. Warum ist es kategorisch falsch, dies zu tun, auch in Bezug auf grundlegende theoretische Konzepte ?
Ja, der Kommunismus ist eine Ideologie der Reinigung. Dies ist die Ideologie der Reinigung der Gesellschaft von den Elementen, die ihr klassenmäßig fremd sind. Aber niemand wird klassenmäßig prädestiniert geboren der einen Gemeinschaft anzugehören, in der er Mitglied geworden ist. Der Mensch ist sozial mobil, er kann eine Klasse verlassen und Mitglied einer anderen Klasse werden.
Wir können das nicht über die Nationalität sagen, und deshalb dürfen wir keine Parallelen zwischen Kommunismus und Faschismus ziehen. Es sind diametral entgegengesetzte Ideologien.
> Der Kommunismus glaubt, dass die Hauptsache die Zugehörigkeit eines Menschen zur großen Armee der Arbeiter, der Klasse der Proletarier ist und betrachtet die nationale Frage extrem universalistisch. Wir können uns an den Hauptslogan der Erbauer des Kommunismus erinnern : “Proletarier aller Länder, vereinigt euch.” Es spielt keine Rolle, welche Nationalität, welche Religion, aber es gibt diese Menschen. Das Wichtigste ist, dass sie klassenmäßig eine Einheit ergeben.
> Der Faschismus betrachtet es auf eine ganz andere Weise. Er teilt die Menschen nach Nationalität, was natürlich zutiefst ekelhaft und in jeder zivilisierten Gesellschaft unangemessen ist.
Was andere Parallelen zwischen Faschismus und Kommunismus betrifft, die einige liberale Historiker gerne ziehen : Ja, in der Tat, beide dieser Ideologien sind hart, beide sind aggressiv.
Beide dieser Ideologien sind sehr hart und aggressiv gegeneinander eingestellt.
Sie verstehen sich nicht, weshalb es, egal was ma da sagt, niemals eine Zusammenarbeit und eine dauerhafte Koalition zwischen der kommunistischen Sowjetunion und Hitlerdeutschland geben konnte.
Sie basierten auf grundlegend gegenteiligen Ideen.
Die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus ist meiner Meinung nach also ein utopischer, antiwissenschaftlicher und völlig falscher Weg, der keine anderen Funktionen als Propaganda erfüllt.
[Ende Teil 2/4 “Ideologie”. Pavel Feldman im Interview auf PolitRussia]